Ausschnitte eines Artikels aus der Süddeutschen Zeitung von
VOLKER BREIDECKER. © SZ
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In Frankfurt wird viel geklagt und über alles Mögliche in und an der Stadt herumgejammert, als stünde sie ganz entblößt da, so wie die Frauen auf den Leinwänden in der "NACKT!"- Show des ehrwürdigen Städelschen Kunstinstituts
Und da man dort heute offenbar nur noch wenig Anknüpfungspunkte zur Herkunft des Hauses als einem Patrimonium erkennt, einer historisch gewachsenen und verpflichtenden Sammlung, deren Geschichte Teil der Geschichte der
Stadt und ihrer Sichtbarkeit ist, konkurriert man lieber mit der -
unter ihrem neuen Direktor Max Hollein wieder zu Weltrang gelangten
- Kunsthalle Schirn um die Trümpfe im spektakulären Ausstellungs-
betrieb, statt die eigene Sammlung ständig und angemessen zu
präsentieren.
Früher ging man ins Städel, um dieses oder jenes Bild wiederzusehen. Heute sucht man
dort zumeist vergeblich danach, seitdem sich das Museum freimütig zum
"Rücken und Räumen und Umhängen" als dem Lieblingssport seiner Kuratoren bekennt.
Wo
Kuratoren und Kustoden keine gewachsenen Verbindungen und Zusammenhänge
mehr sehen, stiften sie nach Gusto selber welche. So geschehen als
Supplement zur Ausstellung "NACKT!", für die ein ganzes Geschoss des
Hauptgebäudes geräumt wurde: Unter dem koketten Titel "Zusammenhang"wurden Bilder des 19. und 20. Jahrhunderts, teils aus der Galerie,
teils aus den Depots in das neue - das "eigentliche" - Ausstellungshaus
verschoben und dort, wie es noch koketter heißt, in eine "der
Magazinierung abgeschaute, depot- ähnliche Reihung" gebracht, die auch
einmal des Museums "Last der Quantität" anschaulich machen sollte.
Sobald Qualität lästig wird, wird sie zur quantité négligeable erklärt
und entweder in die Depots verbannt oder in
die Wüste geschickt, und so
oder ähnlich verfährt man in Frankfurt mit beinahe allem, auch mit der
Stadtplanung und dem Denkmalschutz, von der Wissenschaft, der
Literatur, den Bühnen und dem Verlags- wesen ganz zu schweigen.
Stadt, Dorf, Fluss, Metropole
Die
Stadt ist groß und gerneklein, die Stadt ist klein und gernegroß. Von
Sachsenhausen, Frankfurts Trastevere im Süden, bis zum "Café
Größenwahn" im Norden hat man sie zu Fuß in einer knappen Stunde
durchmessen, vorausgesetzt, man überlebt im Straßenverkehr, bleibt von Hörstürzen und anderen
Traumata verschont und wartet auch nicht vor allen Fußgängerampeln
darauf, bis sie zufällig einmal kurz auf "Grün" schalten. In Frankfurt
ist alles so hübsch beieinander, so dicht beisammen, Stadt und Fluss, Dorf und Metropole, Geist
und Geiz, Hochmut und Großmut, Kleinmut und Kleingeist. Die Stadt hat
die höchste Banken-, Museums-, Ausstellungs-, Schrift- steller und wohl auch Intellektuellendichte.
Volker Breidecker, SZ